Kreative Gedanken wandeln Welten

Seit 2019 unterrichte ich am Robert-Schumann-Gymnasium Leipzig wöchentlich den GTA-Kurs „Kreatives Schreiben“. Voller Stolz darf ich nun die erste Veröffentlichung aus dieser Schaffensphase präsentieren.

Mehr als 12 Schülerinnen und Schüler nahmen im Zeitraum 2019-2022 an dem Kurs teil, 6 davon veröffentlichen nun Auszüge ihrer Geschichten in dem Buch „Kreative Gedanken wandeln Welten – Schülerinnen des GTA-Kurses ‚Kreatives Schreiben‘ am Robert-Schumann-Gymnasium präsentieren Auszüge ihrer Geschichten“

Mein Vorwort dazu:

„Heldinnen, die trotz aller Widrigkeiten mit großer Entschlossenheit für eine gerechte Sache kämpfen. Reisen in die Vergangenheit und Zukunft dieser und unentdeckter Welten voll heller Magie und dunklem Zauber. Ungestüm wirkende Wesen, in deren Inneren sich Sanftmut und Klugheit verbergen. Ungleiche Paare, die sich anfangs gegenseitig das Leben schwer machen, um im Angesicht einer scheinbar unbezwingbaren Herausforderung ihre Gemeinsamkeiten zu entdecken. Gänsehaut und Horror, knifflige Rätsel, lebensbedrohliche Situationen sowie jede Menge komischer Begebenheiten. Mit Einrichtung des GTA-Kurses „Kreatives Schreiben“ am Robert-Schumann-Gymnasium in Leipzig begab sich eine Gruppe Schülerinnen auf eine Reise. Diese Reise führte sie in die Tiefen ihrer Vorstellungskraft, testete Grenze aus und verlangte einiges an Hingabe von ihnen ab. Daraus entstand eine Reihe außergewöhnlicher Geschichten. Ich bin ungemein stolz, Ihnen mit diesem Buch Auszüge aus diesen Geschichten präsentieren zu dürfen. Jedem Auszug folgt eine kurze Reflexion der jeweiligen Autorin. Lassen Sie sich von der Fantasie dieser jungen Autorinnen mitreißen und denken Sie immer daran, wir alle verfügen über die selben Wörter, wie wir sie nutzen, macht den Unterschied.“

Unausgesprochenes der letzten Lesebühne

Seit 2018 veranstalte ich eine Lesebühne in Leipzig Reudnitz, genauer im Café Bubu, im Täubchenweg. „Suff & Sühne – Lesebühne Leipzig Reudnitz“ so lautet der Titel der Bühne. Die letzte fand Ende Februar 2020 statt, danach begann die Pandemie. Ihr Thema, Bullshit-Bingo, schwer verdauliche Sentenzen des Büroalltags, nicht enden wollender Meetings und Sparflammengedanken, passend zu meinem Gedicht „Großwildjagd im Zoo“, welches im Buch „Meer mit Zimmerblick“ erschien.

Diese Sentenzen sprach ich jedoch nicht aus. Ich erinnere mich nicht mehr weswegen, eventuell war die Zeit zu knapp oder das Publikum steuerte in eine andere Richtung. Es sollte ein Gespräch daraus entstehen. ich würde etwas sagen, dann würde jemand anderes darauf antworten. Zettel hatte ich zu Beginn der Bühne ausgeteilt oder hatte ich sie bei mir behalten, weil ich bereits wusste, dass es nichts wird, an diesem Abend.

Hier sind sie, die Sentenzen, die schwer verdaulichen.

„Das Framework darf bloß nicht zu tight werden. Wir müssen auf jeden Fall ordentlich Slack einbauen.“

„Ich denke auch, dass dovetailed nicely mit unserer To-Market-Strategy.“

„Vielleicht wäre eine Doppelspitze sinnvoll, damit wir mehr CEO-Bandwith bekommen.“

„Wir müssen mehr Romance und Theatre in die Retail Experience kriegen.“

„Nette Business Idea. Aber skaliert sie auch?“

„Erst feedbacken, dann invoicen.“

„Wenn wir die Scaling Issues adressiert bekommen, könnten wir das schon im nächsten Quartal enrolen.“

„Bitte nicht overengineeren. Schließlich wollen wir ja nicht das Haus burnen, um das Pig zu roasten.“

„Ja, das ist noch pending. Aber ich denke wir werden da bald eine smarteren View haben und auch smarter thinken können.“

„Ist’n Piece of Cake. Backoffice wird dann das ganze Heavy Lifting übernehmen.“

„Greenfield-Solutions sind zu costly. Ich denke wir sollten lieber die Legacy-Systeme upcyclen.“

„Repeat Visists sind in Sachen Engagement einfach die Hard Currency.“

„Gute Idee! Bitte notieren, dass wir auch den CMO reinloopen und ihm dann bitte auch gleich die Minutes inboxen!“

„Unsere Solutions sind praktisch bespoke, die kann der Kunde komplett customizen. Also, within reason.“

„Dieser Approach ist für mich ein No-Go! Bitte sofort ausspeichern!“

„Eine slickere Kampagne würde auch jeden Fall mehr Demand bringen.“

„Ich denke die Discussion sollten wir im Inner Circle weiterführen.“

Antartika

Meine Augenlider lagen in der Schatulle neben meinem Bett. Dort pflegte ich sie immer aufzubewahren, wenn die Sonne nicht schien. Ich glaube, es war der letzte Sonntag nach Neujahr, an diesem Tag kam er zu uns. Mein beharrlich weißer Blick hatte ihn bereits aus mehreren hundert Kilometern Entfernung erfasst. Auf seinem Rücken trug er das Haus eines Fremden. Sein langer roter Mantel flatterte im Wind. Schwer zu sagen, ob er die Glaskugel selbst in seinen Mund gelegt hatte. Sie splitterte auf jeden Fall fürchterlich, als er sie zerbiss und zu reden begann. Das Blut mischte sich in seine Worte und hervor trat eine Wahrheit. Es war eine große und alles verschlingende Wahrheit, daran erinnere ich mich sehr genau. Sie zerwühlte meinen Verstand mit großem Eifer. Meine Gedanken zogen aus in seiner Schusslinie zu verweilen. Sein Kopf selbst allerdings schien in Klammern gesetzt. Mit jedem Tag seiner Anwesenheit sanken meine Füße etwas tiefer in das Eis. Das Laufen fiel mir sehr schwer. Die Ausrufezeichen, die sich hinter ihm reihten, ignorierte ich zu unser aller Bedauern. Wie oft versicherte er mir doch, er wäre ein Pilot des sinnlichen Friedens. Sein Leben lang hatte er die verbrannte Erde seiner Heimat fressen müssen. Genuss war ihm, wie auch mir, ein Rätsel. Einst hatte er den Versuch unternommen, der Freiheitsstatue zu folgen, aber sie hatte „Nein“ gesagt. Zu dieser Zeit trug ich bereits meine zehnte Uhr. Sie war, wie ein jedes ihrer Vorgänger, kaputt. Säuberlich reihten sich acht von ihnen, eine nach der anderen, an meinem linken Arm. Die neunte Trug ich um den Hals, die zehnte an meinem rechten Fuß. Ein jedes Mal, wenn unser Gast die Schwelle unseres Hauses überschritt, tobte der Gelbhund unnachgiebig in seinem Loch. Zähnefletschend und bellend, grub er sich dabei immer tiefer in den Berg. Es dauerte einige Monate bis er wieder an die Oberfläche kam. Schließlich tauschten Ruben und ich unsere Hände aus. Trauer überkam mich, als mir bewusst wurde, dass ich von diesem Zeitpunkt an mit zwei linken Händen zu leben hatte. Meine böse Vorahnung verschwand genauso sacht und leise, wie sie gekommen war. Er hatte mir meine Rechte genommen. Ich versank ganz im Eis, nur um auf der andere Seite dieser Welt eine neue Nacht zu erblicken. Zum Rennen wäre das Wasser da draußen ohnehin zu weich gewesen. Jahre vergingen bis ich wieder große Distanzen laufen konnte. Geschehens ungeschehen zu machen, war nie meine Stärke. Ungeschehenes zu verstehen jedoch sehr. Ich kehrte nie nach Antarktika zurück.

Kontext

Falsch denken und doch richtig liegen. Ist das möglich? Oftmals fehlt es an Perspektive oder Kontext, damit sich uns Inhalte voll und ganz erschließen. Dazu folgender Dialog über ein paar „Beutelmenschen“ als Beispiel:

Carl: Moin.
Otto: Hi.
Carl: Na, auch auf’m Markt einkaufen?
Otto: Ja, einkaufen. Musste ja. Aber weißte was?!
Carl: Was’n?
Otto: Ich bringe jetzt immer meine eigenen Beutel mit.
Carl: Umweltbewusstsein. Sehr gut! Mach ich auch.
Otto: Und weißte noch was?
Carl: Nee.
Otto: Ich packe da ein paar Gewichte rein, so richtig schwere. (kichert)
Carl: Wo rein?
Otto: Na, in die Beutel, Mensch.
Carl: Äh, wieso? Dann zahlst du doch drauf.
Otto: Jaha! Aber das wissen die doch nicht. Tschüss!
Carl: Ähm…ja.

Zuerst einmal stellt sich uns die Frage: „Ist Otto verwirrt?“ Nun, solch eine Frage ist nicht einfach zu beantworten. Viele Faktoren spielen in das Verwirrtsein hinein. Erziehung, soziales Umfeld, gesellschaftliche Normen und Überzeugungen, Zugang zu Bildung, finanzielle Mittel, um nur ein paar zu nennen. Insofern können wir diese Frage nicht zweifelsfrei beantworten. Und selbst wenn diese Frage im Raum steht, eigentlich geht es um etwas ganz anderes. Es geht um Verhalten. Warum also zahlt Otto freiwillig mehr? Ein Perspektivenwechsel wird uns helfen, den Kontext zu ergründen.

Variante 1: Otto legt Gewichte in seinen Beutel, weil er die Händlerinnen und Händler auf dem Markt über seinen Einkauf hinaus unterstützen möchte. Er zahlt also absichtlich mehr, um einen, man könnte sagen, Dienst an der Gesellschaft zu leisten. Sicherlich, er könnte den Händlerinnen und Händlern auch einfach mehr Geld geben, doch Otto möchte auf keinen Fall großspurig oder überheblich wirken.

Variante 2: Carl und Otto befinden sich überhaupt nicht auf dem Markt, sondern in einer geschlossenen Anstalt. Carl ist davon überzeugt, er sei die vorzeitige Reinkarnation von Ozzy Osbourne (ich weiß, er lebt noch…aber kann man sich da so sicher sein) und Otto meint von sich, er wäre das Kind von Michael Jackson, empfangen durch die unbefleckte Empfängnis einer Einzelhandelsverkäuferin in Gifhorn, Niedersachsen. Diesen Dialog führen sie jeden Tag aufs Neue, wenn sie sich gemeinsam zum Schalter begeben, um ihre Pillen abzuholen.

Variante 3: Eine 10,685 Lichtjahre von unserer Erde entfernt lebende Zivilisation auf einem Planeten namens Gliese 887b, welcher sich in dem Sonnensystem mit der Bezeichnung Lacaille 9352 befindet, beobachtet das Leben auf der Erde schon seit mehr als 7.000 Jahren und ist davon fasziniert. Und zwar so sehr, dass sie ein Theater samt monumentalem Bau zu Ehren der menschlichen Zivilisation gegründet haben und dort selbst geschriebene Stücke vortragen. Dies ist die Probe für ein neues Stück.

Tada! Kontext! BÄM! Ich weiß, alles frei erfunden. Doch mal ehrlich, ich bin Schriftsteller, was erwartet ihr.

Auszug

Auszug m 1. departure, demonstrativ: walkout: (aus e-r Wohnung) move (from a flat).

Und das hat er auch getan…

„Die Zeit der großen Sicherheit ist über uns hereingebrochen.“ Er sprach ruhig und mit sonorer Stimme über die Vorzüge dieser neuen Zeit, insbesondere die vielfältigen Kommunikationswege, die abertausenden Möglichkeiten miteinander in Kontakt zu bleiben, sich stets über die neuesten Entwicklungen in der Welt zu informieren und in hoher Frequenz dem Puls der Zeit folgen zu können. Am Ende seiner Ausführungen, die er mit großer Expertise vollzogen hatte, legte er sein Smartphone auf den Stuhl, von welchem er gerade aufgestanden war, öffnete das Fenster hin zu einem lächelnd blauen Tag und sprang hinaus.

Sonne und Wind (frei nach Aesop)

Am vergangenen Wochenende, 14 Uhr Pacific Daylight Time, stritten sich Sonne und Wind darüber, wer von ihnen wohl der Stärkere sei. Zur Klärung dieser Frage sollte ein Wettstreit dienen, den sie sogleich vereinbarten. Wer es als Erster von ihnen fertig brächte, einen Mann dazu zu bringen, seine Jacke auszuziehen, würde als Sieger hervorgehen. Nach einer kurzen Suche fanden sie eine geeignete Person. Es war ein 28 Jahre alter, weißer US-Amerikaner gut genährt und muskulös, mit einem Körperfettanteil von 4,28 Prozent. Er war gerade auf dem Weg vom Fitnessstudio Hard Bodies im westlichen Los Angeles zu einem nahegelegenen Starbucks, wo er sich einen Java Chip Chocolate Cream Frappuccino gönnen wollte. Er hörte über sein Iphone 6S Plus mit 128 Gigabyte Speicher in der Farbe Space Grau die eigens für ihn und nach seinem Spotify-Profil erstellte RnB-Playlist namens Epic Beats und trug einen auffallend trendigen Damier Down Feather Coat Parka von Louis Vuitton, der ihm viele neiderfüllte Blicke einbrachte. Der Wind nahm seine ganze Kraft beisammen und begann heftig zu prusten. Die Palmen bogen sich unter seinen Anstrengungen. Der äußerst gut gekleidete Young Urban Professional jedoch schloss nur den doppelten Hard Socket Carbon Reißverschluss seines Damier Down Feather Coat Parkas. Den Wind verließ daraufhin sein Wille und er flaute ab. Die Sonne wollte sich nun versuchen und sandte all ihre Strahlen hinab in den Betondschungel. Der Asphalt brannte und raffte sich unter den beständig rollenden Sports Utility Vehicles zu Falten. Die Sonne schien in ihrer ganzen Pracht. Der Damier Down Feather Coat Parka von Louis Vuitton hatte allerdings auch besonders gute atmungsaktive Eigenschaften. Darauf hatte er beim Kauf in dem Designerladen Mantega’s, Ecke 5te und San Anthony, Montag bis Samstag von 10-20 Uhr geöffnet, geachtet. Er öffnete den doppelten Hard Socket Carbon Reißverschluss sowie die Lüftungsschlitze an den Armen. Den Parka zog er aber nicht aus. Sonne und Wind waren ratlos und erbost über diesen Typen und was er sich einbildete. Just in diesem Moment des Zorns stürmte ein vermummter Mann mit einer sehr untrendigen Jogginghose und einem voll unstylischem Hoodie aus einer Ecke auf den Trendsetter zu und schoss ihm mit einer Glock 22 Kaliber 40 in den Kopf. Der Angreifer zog dem Mann den Damier Down Feather Coat Parka von Louis Vuitton aus und nahm das Iphone 6S Plus mit 128 Gigabyte Speicher in der Farbe Space Grau sowie weitere Wertsachen an sich und verschwand.

BUCHPREMIERE – Nachtlager

Was für eine tolle Kulisse für die Premiere meines neuen Buches „Nachtlager“! Danke an das großartige Publikum. Ich hoffe, es hat euch genau so gut gefallen wie mir. Und auch an dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an das Team der Stadtbibliothek Weißenfels sowie an das Kulturamt, die den Abend ermöglicht haben. Es war mir ein Vergnügen!

Wer einen Blick ins Buch werfen mag, bitte hier entlang.

Festsaal im Fürstenhaus zu Weißenfels a. d. Saale